Herdenschutz statt Wolfsabschuss!

Medienmitteilung des Verein CHWOLF vom 27. Juli 2020


Das neue Jagdgesetz schiesst völlig über das Ziel hinaus und löst die Probleme nicht

Zurzeit brodelt es in der bündnerischen Surselva-Region. Meldungen von gerissenen Schafen in nicht oder ungenügend geschützten Herden und in Panik geratene Mutterkühe, welche eine Gefahr für Touristen werden können, gehören bald zur Tagesordnung. In den Medien kann man auch immer wieder lesen, dass trotz Herdenschutz Schafe gerissen würden, Herdenschutz also nicht funktioniere und der Wolfsabschuss die einzige Lösung sei. In den meisten Fällen wurden die Herdenschutz­massnahmen, wenn überhaupt, mangelhaft umgesetzt. Auf einer Alp z.B. wird eine 500-köpfige Schafherde tagsüber hervorragend vom Hirten mit seinen 4 Border Collies gehütet und von einem Herdenschutzhund bewacht. Nachts werden die Schafe zusammengetrieben aber nicht mit einem elektrifizierten Zaun eingepfercht. Ein Herdenschutzhund alleine hat so keine Chance, alle 500 Schafe gegen Wölfe zu schützen. Bereits wurden bei mehreren nächtlichen Angriffen 18 Schafe getötet und mehrere Tiere werden vermisst. Der grosse Aufwand tagsüber nützt nichts, wenn der Schutz gerade nachts ungenügend ist und dem Herdenschutzhund kein realistischer Wirkungsraum gegeben wird! Trotz mangelhaftem Herdenschutz ist in den Medien von einer „geschützten Alp“ die Rede, was einfach nicht den Tatsachen entspricht. Erst nach den letzten Angriffen wurden Zäune für einen Nachtpferch auf die Alp gebracht. Seit die Herde nachts eingezäunt ist, gibt es keine Schäden mehr.

Beim Einsatz von Herdenschutzhunden ist es äusserst wichtig, dass den Hunden die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, die gesamte Herde wirkungsvoll zu schützen. Der richtige und wirksame Einsatz der Herdenschutzmittel und der Herdenschutzhunde ist dabei voll und ganz Sache des verantwortlichen Menschen. Auch Zäune müssen korrekt aufgestellt sein. Da Wölfe lieber unter dem Zaun durchschlüpfen als darüber zu springen, muss auf einen guten Bodenabschluss geachtet werden und dies auf der gesamten Zaunlänge. Der Zaun muss genügend Strom führen und eine gute Erdung aufweisen. Auch ein auf den ersten Blick gut aufgestellter Zaun nützt nichts, wenn er an einem Ort z.B. über einen Bach führt, wo der Wolf einfach untendurch schlüpfen kann, oder wenn ein Felsbrocken neben dem Zaun steht, der dem Wolf als „Sprungbrett“ dient, um einfach in die Weide zu gelangen. Solche Schwachstellen können jedoch mit einfachen Mitteln, welche als Störelemente dienen, eliminiert werden. Dazu gehören z.B. Lappenzäune, einige an eine Schnur gebundene alte CD’s oder Petflaschen, Windrädli, etc. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der Aufwand, einen Zaun richtig aufzustellen, ist nicht viel grösser, die Wirkung jedoch schon!

Herdenschutz funktioniert
Fakt ist: Werden Herdenschutzmassnahmen konsequent und lückenlos umgesetzt, gibt es praktisch keine Schäden mehr durch die Wölfe. Dies beweisen Alpen, welche zum Teil schon seit Jahren sehr erfolgreich Herdenschutzmassnahmen umsetzen. Wie z. B. die Alpen in der Calanda-Region, wo das ansässige Wolfsrudel praktisch keine Nutztierschäden mehr verursacht. Was beim Calanda-Rudel funktioniert, funktioniert auch bei anderen Rudeln, sofern die Massnahmen lückenlos umgesetzt werden. Herdenschutz ist jedoch eine Willens- und Einstellungssache und beginnt im Kopf! Dazu sind leider viele noch nicht bereit. Laut Aussage des Bundes hat eine Untersuchung gezeigt, dass Herdenschutzmassnahmen zu einem 98%igen Schutz der Tiere gegen Raubtierangriffe führen.
Herdenschutz mit allen verfügbaren und wirksamen Mitteln sollte deshalb die NORMALITÄT und ein MUSS für JEDEN sein!

Die Zahlen beweisen es: In der Schweiz hat die Anzahl Wölfe seit der Wiedereinwanderung 1995 stetig zugenommen, die Anzahl Risse bleibt aber seit Jahren gleich hoch (ca. 200 – 500 Risse/Jahr). Das heisst, heute werden pro Wolf viel weniger Nutztiere gerissen als vor 20 Jahren: 2000 – 4 Wölfe – 256 Risse / 2009 – 10 Wölfe – 383 Risse / 2018 – 50 Wölfe – 526 Risse / 2019 - 80 Wölfe - 420 Risse. Diese Abnahme der Nutztierrisse ist nur dank vermehrtem Herdenschutz möglich!

Keine sinnlosen Abschüsse!
Deshalb ist es völlig unverständlich, dass nach neuem Jagdgesetz Wolfsrudel reguliert werden dürfen, sobald nur schon Schaden droht, ohne dass die Wölfe Schaden angerichtet haben und ohne dass vorgängig zumutbare Herdenschutzmassnahmen umgesetzt werden müssen. Ohne Herdenschutz droht logischerweise immer Schaden. Dies wäre somit quasi ein Freipass für die Kantone, um jährlich die Hälfte der geborenen Jungtiere über den Regulierungspassus abschiessen zu können.

Eine solche Lockerung der Herdenschutzverpflichtung ist völlig unverständlich. Denn gerade in Rudelgebieten ist es enorm wichtig, dass wirksame Herdenschutzmassnahmen umgesetzt werden, damit die Jungtiere von Beginn an lernen, dass Schafe und Ziegen keine einfache Beute sind.

Die präventive Regulierung von Wolfsrudeln nach dem neuen Jagdgesetz ist ein sinnloser und respektloser Eingriff in die Natur!

Alpbewirtschafter wägen sich in falscher Sicherheit
Um ihre Verantwortung ihren Tieren gegenüber wahrzunehmen, kommen Alpbewirtschafter auch in Zukunft nicht um Herdenschutz herum. Denn auch mit dem neuen Jagdgesetz wird es Risse geben. Alpbewirtschafter wägen sich in falscher Sicherheit, da ihnen das neue Jagdgesetz verspricht, dass Wolfsrudel reguliert werden dürfen, bevor sie Schaden angerichtet haben.
Nach neuem Jagdgesetz gilt aber: Eine Rudelregulierung darf jeweils im Zeitraum vom 1. September bis 31. Januar vorgenommen werden. Die Hälfte der im laufenden Jahr geborenen Jungtiere dürfen geschossen werden. Die erwachsenen Elterntiere und die älteren Geschwister müssen geschont werden. Das Problem liegt nun darin, dass die Alpsaison bereits im Mai/Juni beginnt. Werden keine Herdenschutzmassnahmen umgesetzt, wird es zwangsläufig Schäden geben. Erst im Herbst, also nach der Alpsaison, dürfen dann die Welpen geschossen werden, die aber auf Grund ihres Alters an den Rissschäden gar nicht beteiligt waren. Die schadenverursachenden erwachsenen Tiere sind weiterhin im Gebiet unterwegs und werden auch im Herbst/Winter und in der kommenden Alpsaison Schäden verursachen, wenn keine wirkungsvollen Herdenschutzmassnahmen umgesetzt werden.

Mit einer Rudelregulierung können also keine Schäden während der Alpsaison verhindert werden!
Um Schäden zu vermeiden, braucht es wirksamen Herdenschutz und keine Wolfsabschüsse!
Nur so funktioniert ein langfristiges Nebeneinander von Mensch, Wolf und Nutztieren!

Neues Jagdgesetz ist nicht vereinbar mit der Berner Konvention
Der Wolf ist in Anhang II der Berner Konvention als streng geschützte Tierart aufgeführt. Laut Artikel 6 ist grundsätzlich jedes absichtliche Töten dieser Tiere verboten. Artikel 9 erlaubt in gewissen Situationen jedoch Ausnahmen: „Unter der Voraussetzung, dass es keine andere befriedigende Lösung gibt und die Ausnahme dem Bestand der betreffenden Population nicht schadet, kann jede Vertragspartei Ausnahmen von den Artikeln 4, 5, 6, 7 und vom Verbot der Verwendung der in Artikel 8 bezeichneten Mittel zulassen.“ Dies unter anderem zur Verhütung ernster Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischgründen, Gewässern und anderem Eigentum.

Werden nun Wolfsrudel durch jährlich mögliche Abschüsse reguliert, nur weil Schaden droht, und ohne dass vorgängig zumutbare Herdenschutzmassnahmen umgesetzt wurden, ist dies ganz klar NICHT mit dem Wortlaut und dem eigentlichen Sinn der Berner Konvention vereinbar! Erstens ist der Artikel 9 nur eine reine Ausnahmeregelung und zweitens darf es zu seiner Anwendung keine andere befriedigende Lösung geben. Würden aber die zumutbaren Herdenschutzmassnahmen überall richtig und lückenlos umgesetzt, würde kein ernster Schaden mehr drohen. Herdenschutzmassnahmen sind somit klar eine andere befriedigende Lösung!

Da Artikel 9 jedoch nur zur Anwendung kommen darf, wenn es keine andere befriedigende Lösung gibt, missachtet das neue Jagdgesetz diesen Artikel der Berner Konvention vollständig.

Artenschutz muss Bundessache bleiben
Die Berner Konvention ist ein von der Schweiz unterzeichneter völkerrechtlicher Vertrag und somit liegt die Verantwortung über deren Einhaltung ausnahmslos beim Bund. Nach dem neuen Jagdgesetz soll die Zuständigkeit für die Abschussbewilligungen in Zukunft jedoch alleinig bei den Kantonen liegen, was unweigerlich zu verschiedenen und uneinheitlichen Auslegungen und Handhabungen führen wird. Wie das herauskommt, wäre somit völlig fragwürdig, da sich einige Kantone jetzt schon nicht an die Gesetzgebung halten. Das zeigt das Beispiel vom Kanton Graubünden, der in den letzten vier Jahren ohne Bewilligung 75 geschützte Graureiher geschossen hat. Auch andere Kantone haben bis zu einem Bundesgerichtsentscheid vor 5 Jahren ebenfalls hunderte von geschützten Graureihern illegal geschossen! Ein schweizweites Management der geschützten Arten, insbesondere der Grossraubtiere würde so völlig verunmöglicht. Artenschutz, wenn er ernst und wirksam betrieben werden soll, muss weiträumig in der gesamten Schweiz gleich umgesetzt werden. Artenschutz und damit auch die Abschussverantwortung ist eine LANDESAUFGABE und MUSS deshalb alleinig BUNDESSACHE bleiben.

Das revidierte Jagdgesetz schiesst weit über das Ziel hinaus. Unsere Parlamentarier haben den Schutz des Wolfes viel stärker gelockert, als der Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen hat. Aus einem Jagdschutzgesetz wurde nun ein Abschussgesetz, das dem heute so dringlichen und unerlässlichen Arten- und Naturschutz in keiner Art und Weise gerecht wird.

Deshalb sagen wir am 27. September klar NEIN zum missratenen Jagdgesetz

 

Medienmitteilung vom 27.07.2020 als pdf

 

Weitere Informationen und Auskünfte:

Christina Steiner, Präsidentin Verein CHWOLF

Tel. 079 203 24 56,  c.steiner@chwolf.org,  www.chwolf.org

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