Risse trotz Herdenschutz – wie kann das sein?

 

Medienmitteilung des Verein CHWOLF vom 13. August 2021

 

In den vergangenen Wochen berichteten Behörden und Medien immer wieder, dass es trotz verstärktem Herdenschutz zu Nutztierrissen auf Alpen kam. In den Kantonen Graubünden und Wallis führten diese Risse bereits zu zwei Abschussbewilligungen von je einem Einzelwolf und mehrere Anträge für Rudelregulierungen sind in Vorbereitung, oder wie im Fall des neuen Rudels im Val d’Hérens (VS) bereits beim Bund eingereicht.

Bei unserer langjährigen Herdenschutz-Projektbegleitung haben wir die Erfahrung gemacht, dass wenn es trotz Herdenschutzmassnahmen zu Wolfsübergriffen kommt, der Wolf meist irgendwo eine Schwachstelle gefunden hat. Nur in den seltensten Fällen hat er gelernt gut umgesetzte Schutzmassnahem gezielt zu umgehen (z.B. Überspringen von Zäunen).

Mögliche Schwachstellen in der Umsetzung der Herdenschutzmassnahmen

Die Umsetzung von wirkungsvollen Herdenschutzmassnahmen ist für den Alpbewirtschafter immer mit einem grossen Mehraufwand, Kosten und vor allem auch mit einem Lernprozess verbunden. Es reicht nicht, einfach zwei Herdenschutzhunde in die Herde zu stellen. Da braucht es weit mehr. Der Alpbewirtschafter oder HirteIn muss den Hunden auch die richtigen Voraussetzungen schaffen, damit diese die gesamte Herde schützen können. In den ersten Jahren, also in der Aufbauphase des Herdenschutzes, werden oftmals noch Fehler begangen.

Meist werden die Herden zu wenig homogen geführt, oder es werden zu wenig Herdenschutzhunde für die Anzahl Schafe und Grösse des Weidegebietes eingesetzt, so dass die Herdenschutzhunde keine Chance haben, die gesamte Herde gleichzeitig zu schützen. Vor allem bei schlechten Wetter-, Sicht- und Windverhältnissen können Wölfe dann ganz einfach einzelne Schafe abseits oder am Rande der Herde erbeuten. Wenn die Schafe tagsüber auf einer zu grossen Fläche verstreut sind, hat der HirteIn auch Mühe, sie abends alle zu finden und in den schützenden Nachtpferch zu treiben. In der Folge verbringen dann einzelne Schafe die Nacht völlig ungeschützt, weit abseits des Pferches und ausserhalb des Wirkungsbereiches der Schutzhunde. Um solche Tiere zu erbeuten, braucht der Wolf keine Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Für diese Schafe ist dann schlicht kein Herdenschutz vorhanden.

Sehr oft sehen wir Fehler und Mängel bei der Zäunung. Damit ein Wolf einfach unter dem Zaun durchschlüpfen kann, reicht es schon, wenn der Zaun nur an einer einzigen Stelle einen ungenügenden Bodenabschluss aufweist. Dies wenn z.B. über einen kleinen Bach oder eine Mulde gezäunt wird. In sehr vielen Fällen ist die Elektrifizierung mangelhaft und deren Effekt für die Wolfsabwehr deshalb schlecht bis wirkungslos. Häufig wird die Erdung und die Erdverbindungen schlecht ausgeführt oder ein alter und zu schwacher Viehhüter eingesetzt. Auch wird zu wenig auf Erdschlüsse durch Bewuchs geachtet, die dann vor allem bei Nässe die Wirksamkeit der Elektrifizierung massiv vermindern. Auch können grosse Felsbrocken direkt am Zaun dem Wolf als einfacher Übergang, so zu sagen als Sprungbrett dienen, um einfach in die Weide zu gelangen. Wölfe beobachten sehr gut und testen immer wieder und finden und nutzen jede sich bietende Schwachstelle im Schutzsystem.

Um solche Schwachstellen bei Zäunen und im gesamten Schutzsystem zu erkennen, braucht es Erfahrung, eine Situations- und Massnahmenbeurteilung aus Sichtweise des Wolfes und damit Know How über die Lebensweise und das Verhalten des Wolfes. Erkennt man die Schwachstellen, können sie meist mit einfachen Mitteln behoben werden und Schäden könnten so vermieden werden.

Schwachstellen im Herdenschutz führten zu Abschussbewilligungen 

So zum Beispiel auf einer Bündner Alp, wo ein Wolf innert weniger Tage 14 Schafe gerissen hat. Die 900- köpfige Schafherde wird behirtet und von 2 Herdenschutzhunden geschützt. Seit den ersten Rissen versucht die Hirtin die Herde tagsüber homogen zu führen und abends treibt sie die Herde auf eine Fläche von ca. 4ha zusammen, jedoch fehlt ein elektrifizierter Nachtpferch. Die 2 Hunde haben auf einer solch grossen und nicht eingezäunter Nachtweide keine Chance, die gesamte Herde gegen alle Seiten zu schützen. Nach Herdenschutzrichtlinien des Bundes benötigt es für 900 Schafe 5 Herdenschutzhunde. Vom Kanton wurden die Schutzmassnahmen jedoch als ausreichend beurteilt, was dazu führte, dass der schadenstiftende Wolf vom Kanton am 28. Juli zum Abschuss frei gegeben wurde.

Es sollten nur diejenigen Wölfe geschossen werden, welche wirklich gelernt haben, gut umgesetzte Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Sie dürfen nicht mit ihrem Leben bezahlen, nur weil die Tierhalter Fehler machen oder nicht gewillt sind, seriösen und wirkungsvollen Herdenschutz umzusetzen.

Dass Herdenschutz funktioniert und machbar ist zeigen alle AlpbewirtschafterInnen und HirtenInnen, welche zum Teil schon seit Jahren Mitten im Wolfsgebiet sehr erfolgreich Herdenschutzmassnahmen umsetzen.

 

Medienmitteilung vom 13.08.2021 als pdf

 

Weitere Informationen und Auskünfte:

Christina Steiner, Präsidentin Verein CHWOLF
c.steiner@chwolf.org,  www.chwolf.org

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